Plädoyer
für eine neue Erinnerungskultur in Leimen
Gedanken zum 75. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 2020 von Martin
Delfosse
Am
8. Mai 1945 wurde Deutschland von der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft befreit. In den Wochen und
Monaten davor wurden viele Konzentrations- und Vernichtungslager der
Nazis befreit, Ausschwitz in Polen am 27. Januar, und in Deutschland
Buchenwald am 11. April, Bergen-Belsen am 15. April, Sachsenhausen am
22. April, Flossenbürg am 23. April, und Dachau am 29. April, um nur
einige zu nennen. Das Ende von Krieg und Gewaltherrschaft, sowie das
Ende der mörderischen Vernichtung in den Lagern der Nazis, dies sind
die beiden zentralen Inhalte, derer wir uns aus Anlass des 75.
Jahrestages des Kriegsendes erinnern.
Dieses
Erinnern ist
richtig und gut so, denn gerade im Hinblick auf neue rechtsradikale
Tendenzen, welche das Ausmaß der menschenverachtenden Nazizeit
verharmlosen, relativieren, kleinreden oder aufrechnen wollen, ist die
Erinnerung an die Opfer der Nazis wichtiger denn je. Wir müssen leider
auch erleben, wie der Antisemitismus in vielen Köpfen wieder wächst.
Hinzu gesellt sich antijüdisches Denken radikaler Islamisten. Es gibt
leider Anlass genug, an die menschenverachtenden Gewalttaten der Nazis
zu erinnern, damit so etwas nie wieder geschehen kann.
Diese
Erinnerungskultur muss bewahrt werden. Sie muss bewahrt werden auch vor
einer rituellen Erstarrung, denn vor allem junge Menschen fühlen sich
von der Art und Weise, wie dieses Gedenken gestaltet wird, nicht mehr
angesprochen. Sie fragen sich: Was hat das mit uns zu tun, was hat das
mit uns heute zu tun und was hat das mit uns hier in Leimen zu tun? Es
sind doch gerade die jungen Menschen, die in zukünftigen Generationen
verantwortlich sein werden, in diesem Erinnern nicht nachzulassen. So
ist es an der Zeit, mit diesen jungen Menschen gemeinsam auf die Suche
zu gehen und neue Gestaltungsformen der Gedenktage zu entwickeln, die
über das bloße „stille“ Gedenken, die bloße Zeremonie in der Art eines
Totengedenken hinaus gehen. Jugendliche persönlich in Bezug auf ihr
Einfühlungsvermögen ansprechen, mit ihnen aktuelle Bezüge
herausarbeiten und die örtlichen Verhältnisse während der Nazizeit in
Leimen beleuchten, damit lassen sich wieder mehr Menschen für dieses
Thema interessieren.
75 Jahre
nach dem Ende der Nazidiktatur
scheint es mir dringend nötig zu sein, miteinander kreative Ideen zu
entwickeln, wie wir die Gedenktage an die gesellschaftlichen,
demokratischen und pädagogischen Herausforderungen der heutigen Zeit
anpassen können. Der alljährliche Tag zur Erinnerung an die Befreiung
des Konzentrationslagers Ausschwitz am 27. Januar, an das Ende des
Krieges am 8. Mai, an die Deportation der Juden nach Gurs am 22.
Oktober, an die Reichspogromnacht am 9. November und der alljährliche
Volkstrauertag sind gute Möglichkeiten das Schweigen zu durchbrechen,
Begegnungsmöglichkeiten unterschiedlicher Menschen zu schaffen,
Zeitzeugenberichte, Information und Kommunikation in den Mittelpunkt zu
stellen, den gesellschaftlichen Diskurs und den gesellschaftlichen
Zusammenhalt zu fördern. Es bedarf meiner Meinung nach heutzutage neuer
gemeinschaftlicher Anstrengungen, um die Erinnerung an Krieg, an
Gewaltherrschaft und an den Holocaust als Mahnung unter uns dauerhaft
lebendig zu erhalten.
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