Bericht zum
Gurs-Gedenken am 9.November 2016
Schwamm
drüber!?
„Nun
lieber Kurt wirst Du oft über die Verhältnisse …[in Leimen]* gefragt
haben und wie unverschämt sich diese benommen haben …. Wir wissen jetzt
nicht, ob wir noch mal nach Leimen fahren (Schwamm drüber).“
[* Der hier ergänzte Begriff „in Leimen“ ersetzt an dieser Stelle
verkürzend die Ausführungen Hugo Mayers, die im Detail hier
eingesehen werden können.]
Diese
Worte stammen von Hugo Mayer, geschrieben im Lager Noé am 21.April 1941
an seinen zwanzigjährigen Sohn Kurt in Manchester. Nach seiner
Verschleppung aus seinem Haus in der Leimener Rohrbacherstraße am
22.Oktober 1940 in das südfranzösische Lager Gurs, nach der Verlegung
in das Lager Noé im Februar 1941, gezeichnet von körperlichen Gebrechen
und Schmerzen gehen die Gedanken von Hugo Mayer im Angesicht des
erlebten Elends in den Internierungslagern zurück nach Leimen.
Stolz
ist er, stolz über seinen Sohn in England, stolz, welche Arbeitsstelle
dieser dort innehat, stolz über das, was er selbst in Leimen als
ehrlicher Geschäftsmann erreicht hat. Umso mehr ist er verletzt, dass
bestimmte Personen in Leimen, die er namentlich nennt, sich ihm
gegenüber so unverschämt benommen haben. Was konkret vorgefallen ist,
erfährt man kaum, in welcher Beziehung er zu diesen Personen stand,
erfährt man ebenso wenig, jedenfalls waren es Menschen, die er zu
kennen glaubte, und von denen er doch so enttäuscht wurde.
Unabhängig
davon, welches Ausmaß an Ungerechtigkeiten und Demütigungen
insbesondere das Jahr 1940 für die Juden in Leimen mit sich brachte, so
steht doch fest, das Leiden für Hugo und Karolina Mayer begann nicht
erst am Tag der Deportation, das Leiden bestand schon vorher. Karolina
Mayer schreibt in demselben Brief, dass sie aufgrund der Vorfälle noch
dort in Leimen stark abmagerte. Man kann sich vorstellen, wie das den
beiden zugesetzt hat, als ehrliche unbescholtene Bürger so viel in und
für Leimen geschafft zu haben und dann, weil sie Juden waren, ihres
Eigentums, ihrer Rechte und ihres Ansehens beraubt zu werden.
Neben den damals üblichen Restriktionen und Ausgrenzungen blieben auch
persönliche Beziehungen zu Leimener Bürgern auf der Strecke, weil diese
sich unverschämt benommen haben.
Und trotz alledem, trotz dem
für uns kaum vorstellbaren Leiden im Internierungslager, waren die
Gedanken von Hugo Mayer nicht beherrscht von Rache. Von Hunger und
Krankheit ausgezehrt und zermürbt ahnte er wahrscheinlich, dass er
nicht mehr nach Leimen zurückkehren würde, sondern in der Ferne sterben
muss. So ist, denke ich, sein Wort vom „Schwamm drüber“ zu verstehen
als ein Anerkennen der unveränderbaren Situation, als Ausdruck einer
verloren gegangenen Hoffnung, die Heimat wiedersehen zu können, gepaart
mit einer stolzen Würde. Hugo Mayer spricht damit gleichsam zu sich
selbst, denn er muss sich damit abfinden, die Leimener Verhältnisse
nicht mehr selbst regeln zu können, seine Ehre nicht mehr selbst
wiederherstellen zu können, deshalb „Schwamm drüber“. Und deshalb hat
er dieses Wort wohl auch in Klammern gesetzt, als enttäuschter Nachsatz
der Unabänderlichkeit, als Einschränkung, weil er eigentlich weiß,
wegwischen und vergessen kann man das nicht, was da in Leimen und in
Deutschland mit den Juden passiert ist.
Wegwischen und
vergessen, dies darf eben nicht geschehen, sonst hätten die
Nazischergen von damals gewonnen, wenn ihre Opfer in Vergessenheit
gerieten. Und so ist es gut, richtig und wichtig, dass auch im Jahr
2016 am 9. November mit einer ökumenischen Andacht in der katholischen
Kirche, gestaltet von den Pfarrern Arul Lourdu, Holger Jeske-Heß und
Jörg Geißler, der jüdischen Opfer aus Leimen gedacht und anschließend
am Mahnmal nach einer Gedenkrede von Oberbürgermeister Hans Reinwald
ein Brief der jüdischen Opfer aus Noé vom 20./21.April 1941 durch die
Mitglieder des Mahnmalprojektes verlesen wurde.
Oberbürgermeister
Hans Reinwald betonte in seiner Ansprache, dass die Erfahrungen von
damals uns dazu verpflichten, sich heute gegen Ausgrenzung und
gegen Fremdenhass einzusetzen. Ein Gedanke, der
auch in der ökumenischen Andacht mehrfach eine Rolle spielte, dass es
heute gilt wachsam zu sein gegenüber allen nationalistischen, juden-
oder islamfeindlichen und rassistischen Gedanken, Worten und Taten.
RNZ-Artikel vom 11.November 2016
Sie wurden
aus dem Schlaf gerissen, um in den
Tod zu reisen
Gedenkstunde
anlässlich der Verschleppung jüdischer Mitbürger ins Internierungslager
Gurs
Von
Sabine Geschwill
Leimen. Die
schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten liegen schon lange
zurück. Ihre Folgen bleiben aber unvergessen, sie sind in den Köpfen
einer ganzen Nation verankert. Das Hitler-Regime forderte viele Opfer,
darunter auch vier jüdische Mitbürger aus Leimen. Das Ehepaar Hugo und
Karolina Mayer sowie Karoline Bierig und ihre Tochter Selma wurden, wie
viele jüdische Mitbürger aus den Städten und Dörfern Badens und der
Pfalz, am frühen Morgen des 22. Oktober 1940 von den Männern der
Gestapo aus dem Schlaf gerissen und aufgefordert, sich in kürzester
Zeit reisefertig zu machen. Sie sollten auf Befehl in Sonderzügen in
das französische Internierungslager Gurs am Rande der Pyrenäen
deportiert werden. Es sollte ihre letzte Reise werden: Sie führte
direkt in den Tod. Hugo Mayer starb in Gurs, die anderen Leimener Juden
in Auschwitz.
Um an das
traurige Schicksal dieser unschuldigen Mitbürger und an die vielen
Tausend Opfer des Nazi-Regimes zu erinnern, hatte Oberbürgermeister
Hans D. Reinwald am Jahrestag der Pogromnacht zusammen mit den Pfarrern
Leimens zu einer Gedenkstunde ins Foyer des historischen Rathauses
eingeladen. Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und
spätestens seit den schändlichen Nürnberger Rassegesetzen und der
Pogromnacht am 9. November 1938 war das Leben der Menschen jüdischen
Glaubens in Deutschland unerträglich geworden.
„Wir
Nachgeborenen vermögen uns die Angst und den Schrecken dieser
Lebensbedingungen kaum vorzustellen“, stellte der Oberbürgermeister in
seiner Ansprache hervor. Er machte sehr deutlich, dass man aus den
damaligen schrecklichen Ereignissen eine Lehre ziehen sollte und der
Ausgrenzung von Menschen aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Glauben
vehement entgegentreten müsse. „Viele Reden werden wieder in
Deutschland gehalten, die menschenverachtendes und gehässiges
Gedankengut verbreiten“, sagte Hans D. Reinwald. „Das darf nicht sein,
dagegen müssen wir uns mit aller Kraft wehren.“ Dies sei eine Aufgabe
für alle, betonte der Rathauschef.
Die
Gedenkfeier fand nicht ohne Grund im Foyer des Rathauses statt. Dort
wurde nämlich vor zwei Jahren in Erinnerung an die Leimener Opfer ein
Gedenkstein aufgestellt. Die Idee dazu hatten im Rahmen eines
Schulprojektes an der Geschwister-Scholl-Schule die damaligen
Schülerinnen Katharina Belman, Sabina Kinderknecht und Anastasia
Gammermajster. Der Gedenkstein selbst wurde vom Leimener Steinmetz Udo
Baumgärtner aus Sandstein geschaffen. Ein Pendant dieses Monuments hat
seinen Platz in Neckarzimmern gefunden. Dort wurde eine Gedenkstätte
für alle Opfer aus 137 badischen Gemeinden eingerichtet. Der Leimener
Gedenkstein soll nach dem einvernehmlichen Beschluss des Gemeinderates
im Bereich des neuen Rathauses seinen endgültigen Platz finden.
Gemeinsam
mit Lehrer und Projektbetreuer Martin Delfosse nahmen die ehemaligen
Schülerinnen der Geschwister-Scholl-Schule an der Gedenkstunde teil und
lasen Auszüge aus Briefen der verschleppten Leimener Juden. Für die
passende musikalische Untermalung der Gedenkstunde sorgte Vladimir
Rivkin von der Musikschule.
Corrigendum
In dem obigen RNZ-Artikel haben sich drei kleine Fehler eingeschlichen:
- Im
RNZ-Artikel steht, dass Hugo Mayer in Gurs verstarb. Richtig ist
vielmehr, dass Hugo Mayer am 1.1.1942 in Noé verstorben ist.
- Im
RNZ-Artikel steht, dass der Gedenkstein vom Steinmetz Udo Baumgärtner
geschaffen wurde. Richtig ist vielmehr, dass es die drei
Schülerinnen waren, die den Gedenkstein unter Anleitung und
mit Unterstützung von Steinmetz Udo Baumgärtner erstellt haben.
- Die
Bildunterschrift im RNZ-Artikel zeigt eine falsche Reihenfolge der
Mitglieder des Mahnmalprojektes. Die richtige Reihenfolge von links
nach rechts lautet: Sabina Kinderknecht, Anastasia Gammermajster,
Martin Delfosse, Katharina Belman.
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