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Bericht vom 22.Juni 2010
Am
15.Juni 2010 fand die Informationsveranstaltung zum Leimener
Mahnmal-Projekt im Rosesaal statt, der immerhin mindestens bis zur
Hälfte gefüllt war. Oberbürgermeister
Wolfgang Ernst
begrüßte die Gäste und zeigte sich erfreut
darüber, dass dank des Engagements von drei
Schülerinnen der
Geschwister-Scholl-Schule St.Ilgen dieses Mahnmal-Projekt nun auch in
Leimen durchgeführt wird.
Die drei Initiatorinnen des Mahnmal-Projekts wurden dann von ihrem
Klassenlehrer und Projektbetreuer Herrn Delfosse näher
vorgestellt. Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina
Kinderknecht haben sich während ihrer Projektprüfung
in der
9.Klasse mit dem Thema „Judenverfolgung zur Zeit des
Nationalsozialismus“ beschäftigt. Im Verlauf dieses
Schulprojektes haben sie sich dazu entschlossen zusätzlich in
ehrenamtlicher Arbeit dieses Mahnmal-Projekt durchzuführen.
Sie
sind in Leimen auf Spurensuche gegangen nach den jüdischen
Mitbürgern, die am 22.Oktober 1940 aus Leimen nach Gurs in
Südfrankreich verschleppt wurden. Ein solch couragierter
Einsatz
von 15-jährigen Jugendlichen ist bewundernswert und verdient
höchste Anerkennung.
Ehe die drei Jugendlichen ihre Rechercheergebnisse mit einer
Powerpoint-Präsentation vorstellten, erläuterte Herr
Jürgen Stude, der Landesjugendreferent der badischen
Landeskirche,
der mit einer katholischen Kollegin dieses Projekt landesweit betreut,
die Hintergründe dieses Mahnmal-Projekts und ging dabei auch
auf
den historischen Vorgang der Deportation im Oktober 1940 ein:
Die damaligen NS-Gauleiter von Baden und der Saarpfalz veranlassten am
22.Oktober 1940 die Ausweisung der jüdischen
Bevölkerung aus
ihrem Herrschaftsbereich nach Frankreich, um ihre Gaue als erste im
Deutschen Reich als „judenfrei“ erklären
zu
können. Rund 6000 Personen wurden mit neun
Sonderzügen der
Reichsbahn in das Lager Gurs interniert. Das mit Stacheldraht
umzäunte Lager hatte weder sanitäre Anlagen noch
Trennwände oder Fensterglas und etwa 60 Menschen wurden in
einer
Baracke zusammengepfercht. Seuchen, Kälte, fehlende
Nahrungsmittel
und Medikamente forderten in den Wintermonaten von November 1940 bis
April 1941 viele Tote.
Aus insgesamt 137 badischen Gemeinden wurden die jüdischen
Mitbürger verschleppt. In jedem der Deportationsorte sollen
Jugendliche sich mit der Geschichte ihres Ortes auseinandersetzen und
zwei Gedenksteine gestalten, so die Idee des Jugendprojektes. Einer der
beiden Steine erhält einen angemessenen Ort in der jeweiligen
Gemeinde, der andere wird Teil des zentralen Mahnmals in Neckarzimmern.
Zum 70.Jahrestag der Deportation werden dort am 17.Oktober 2010 um 14
Uhr im Rahmen einer öffentlichen Gedenkfeier weitere
Steine
eingeweiht, darunter auch ein Stein aus Leimen.
Die drei Schülerinnen eröffneten ihre
Präsentation mit
einem kurzen geschichtlichen Überblick über die
jüdische
Gemeinde in Leimen und ihre Synagoge auf dem Rathausplatz, die ca. 1905
abgerissen wurde. Danach folgte eine Fülle an Bildern und
Dokumenten von den aus Leimen deportierten vier jüdischen
Mitbürgern, Hugo und Karolina Mayer, Karoline und Selma
Bierig,
die alle in der damaligen Rohrbacherstr. 2, dem heutigen Anwesen der
Familie Riehm wohnten. Darunter waren sowohl Briefe aus dem Jahr 1939
aus Leimen, als auch Briefe von 1940-1942 aus den Internierungslagern
Gurs und Noe. Die Schülerinnen gelangten in den Besitz dieser
aufschlussreichen Dokumente, nachdem sie Nachfahren der aus Leimen
verschleppten Juden in Amerika ausfindig machen konnten. Am 27.Januar
2010, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus,
gelang ihnen die Kontaktaufnahme, die für alle Beteiligten
sehr
bewegend war.
Von den Schülerinnen wurden dann ausgewählte Zitate
aus den
Briefen vorgetragen. Die Zeilen aus Leimen aus dem Jahre 1939 zeigen
doch sehr deutlich, dass wie überall in Deutschland auch die
Situation der Leimener Juden durch Unterdrückung und
Ausgrenzung
gekennzeichnet war. In den Briefen aus dem Lager Gurs und Noe spiegelt
sich sowohl die Not, die in diesen Lagern herrschte, als auch die
Hoffnung, an der Hugo und Karolina Mayer bis zum Ende ihres Lebens
festgehalten haben. Die letzten Zeilen, die uns von Hugo Mayer in einem
Brief vom 30.März 1941 erhalten sind, lauten: „Meine
große Freude ist es nur die von euch zu erfahren das es Euch
allen gut geht gesund und munter seid gut zusammen auskommt und mein
einziger Wunsch ist nur Euch allen liebe Kinder gesund zu treffen zu
sehen zu sprechen … wenn es Gott will so wird es noch in
Erfüllung kommen.“ Er starb zu Beginn des Jahres
1942, er
wurde 78 Jahre alt. Die letzten Zeilen, die uns von Karolina Mayer in
einem Brief vom 9.September 1942 erhalten sind, lauten:
„Hoffe
doch daß es Euch gut geht und Ihr glücklich und
zufrieden
miteinander seid. Mir selbst geht es gesundheitlich gut. Glaube nun
ziemlich sicher, daß ich nun vorerst hier bleiben kann.
…
So Gott will wird das neue Jahr zum Frieden führen und seit
für heute noch herzlich gegrüßt und
geküsst von
Eurer Mutter.“ Karolina Mayer wurde bald darauf von Noe nach
Auschwitz verschleppt und wurde dort ermordet. Sie wurde 63 Jahre alt.
Zur Zeit des früheren Oberbürgermeisters von Leimen
Herbert
Ehrbar gab es laut Informationen der jüdischen Nachfahren in
Amerika einen sehr langen Briefwechsel zwischen den Kindern von Hugo
und Karolina Mayer und der Stadt Leimen, in dem die Kinder darum baten,
dass man in Leimen in geeigneter Weise ihrer Eltern gedenkt. Die Stadt
Leimen hatte offenbar große Schwierigkeiten diesem Wunsch zu
entsprechen. Jedenfalls entschied man sich am Ende dazu, dass in
St.Ilgen der Platz vor der alten Zigarrenfabrik zum Hugo-Mayer-Platz
ernannt wurde und an der Zigarrenfabrik eine Gedenktafel angebracht
wurde. Wahrscheinlich wurde dieser Ort aufgrund der Namensgleichheit
mit den früheren Inhabern der Zigarrenfabrik, den
Gebrüdern
Mayer ausgewählt, die allerdings aus Mannheim kamen und mit
Hugo
Mayer nichts zu tun hatten. Hugo Mayer war stattdessen von 1899
–
1918 der Besitzer der Bergbrauerei Leimen.
Die Präsentation der Schülerinnen endete
schließlich
mit einem Spendenaufruf zur Finanzierung der Gedenksteine. Sie haben
vor die Gedenksteine so zu gestalten, dass die in den Briefen zum
Ausdruck kommende Hoffnung sich symbolisch widerspiegelt. Wer dieses
Mahnmal-Projekt unterstützen möchte, kann gerne auf
das Konto
der Evangelischen Kirchengemeinde Leimen bei der Volksbank Wiesloch
etwas überweisen. Bitte geben Sie unbedingt als
Verwendungszweck
das Stichwort „Mahnmal“ an, damit Ihre Spende
richtig
zugeordnet werden kann.
Zur Finanzierung der Gedenksteine bitten wir um Spenden!
Spendenkonto:
Empfänger: Ev.
Kirchengemeinde Leimen
Konto-Nr.:
200417
BLZ:
672 922 00 Volksbank Kraichgau
Verwendungszweck: Mahnmal
In Gesprächen rund um die Informationsveranstaltung begegnete
mir
mitunter die Auffassung „Kann man dieses Thema nicht
irgendwann
auf sich beruhen lassen?“ Ich denke, dass jede Generation
aufs
Neue sich diesem Thema stellen muss. Damit die Opfer nicht in
Vergessenheit geraten, kann es keine Alternative geben zu diesem
Erinnern und Gedenken, so schmerzhaft und unangenehm dies auch sein
mag, dass auch in Leimen, also vor der eigenen Haustüre sich
die
Verfolgung der Juden abspielte.
Wie sieht es mit dieser Erinnerungsarbeit in Leimen aus?
Jugendliche haben den Anfang gemacht und eine öffentliche
Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Ortsgeschichte Leimens
begonnen. Viele unbequeme Fragen sind jedoch unbeantwortet geblieben!
Mögen die Gedenksteine nicht nur an die Opfer erinnern,
sondern
uns alle mahnen, dass die Erinnerungsarbeit vor Ort in Leimen
weitergehen und tiefer gehen muss!
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