Zwei
RNZ-Artikel
vom 22.Juni 2010
Drei
Schülerinnen erinnern an das Schicksal der Juden in Leimen
Projektarbeit von drei 15-jährigen Mädchen ist Teil
des „Ökumenischen Jugendprojekts Mahnmal“
Von
Werner Popanda
Leimen. Bis zum 22. Oktober 1940 lebten Karoline und Selma Bierig sowie
das Ehepaar Karoline und Hugo Mayer gemeinsam in der Rohrbacher
Straße 2 in Leimen. An diesem Dienstag stand
frühmorgens aber plötzlich die Staatsgewalt vor ihrer
Haustür. Sie wurden aufgefordert, einen Koffer zu packen.
Einige Stunden später brachte man sie zum Bahnhof. Dort
bestiegen sie einen Zug ins südwestfranzösische Gurs.
Nicht einer dieser vier Menschen sollte in seine Heimatstadt Leimen
zurückkehren.
Recherchiert wurde dieses Geschehnis aus dem düstersten
Kapitel der deutschen Geschichte von Katharina Belman, Anastasia
Gammermajster und Sabina Kinderknecht, allesamt 15 Jahre jung und
Neuntklässlerinnen an der St. Ilgener
Geschwister-Scholl-Schule. Anlass für ihre Nachforschungen war
– wie das Trio unisono erklärte – die in
dieser Klasse obligatorische
„Projektprüfung“. Laut ihrem Lehrer Martin
Delfosse ernteten sie für ihre hervorragende
Gemeinschaftsarbeit schließlich drei Mal die Note 1,0.
Nun ist diese Untersuchung obendrein Teil eines
größeren Vorhabens geworden, nämlich des
„Ökumenischen Jugendprojektes Mahnmal für
die deportierten Jüdinnen und Juden Badens“ (siehe
auch nebenstehender Artikel).
Dass der 22. Oktober 1940 in der Tat nichts anderes als der, so
Jürgen Stude, der Leiter des Jugendprojektes,
„schwarze Tag in der Geschichte Badens“ war, belegt
beispielsweise der ergreifende, von den drei Schülerinnen
jetzt im Rahmen einer Informationsveranstaltung präsentierte
Brief, den die Mayers im März 1941 aus dem Lager verschickten.
Ebenso aber ein gleichfalls im Rose-Saal gezeigtes Foto aus den
frühen 1920er-Jahren, auf dem die bestens gelaunten
Gäste einer Faschingsveranstaltung zu sehen sind. Darunter die
Mayersche Tochter Friedel, die direkt neben Franz Becker, dem
Großvater von Boris Becker, sitzt. Einträchtige
Normalität, die ab 1933 dem Grauen weichen sollte. Friedels
Vater Hugo, von 1899 bis 1918 Besitzer der Bergbrauerei, verstarb 1942
im Lager Noë, ihre Mutter Karoline wurde bald darauf im
NS-Vernichtungslager Auschwitz umgebracht.
Folgerichtig steht für Martin Delfosse denn auch fest, dass
die „Verfolgung der Juden nicht nur in Berlin oder in
Auschwitz“ stattgefunden habe, „sondern vor der
eigenen Haustüre, auch in Leimen“. Zugleich lobte er
die Courage und die Selbständigkeit von Katharina Belman,
Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht. „Stolz auf
die Drei“ zu sein, betonte auch Leimens
Oberbürgermeister Wolfgang Ernst. Schließlich
dürfe, ergänzte das Stadtoberhaupt, nicht in
Vergessenheit geraten, „dass auch Menschen aus Leimen unter
den Verschleppten waren“.
Jugendliche
gehen auf Spurensuche
Projekt „Mahnmal“ soll an das Thema
„Deportation“ erinnern
Leimen. (pop) Nicht nur die Bewohner des Hauses Rohrbacher
Straße 2 in Leimen wurden am 22. Oktober 1940 verschleppt,
sondern insgesamt rund 6500 Personen jüdischen Glaubens. 5600
lebten bis dahin in 137 badischen Orten, gut 900 in der
„Saarpfalz“. Diese beiden
„Gaue“ sollten nach dem Willen ihrer Gauleiter als
erste im Nazireich „judenfrei“ werden. Das vor
sechs Jahren auf den Weg gebrachte „Ökumenische
Jugendprojekt Mahnmal“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Jugend
an das Thema „Deportation“ der jüdischen
Bevölkerung Badens heranzuführen. In allen 137
Kommunen sollen Jugendliche oder Jugendgruppen gefunden werden, die auf
eine Spurensuche gehen und die Schicksale der Deportierten
dokumentieren.
Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse bilden dann den Ausgangspunkt
für die Gestaltung von zwei identischen Gedenksteinen. Einer
verbleibt vor Ort, der andere ergänzt das zentrale Mahnmal in
Neckarzimmern, in das bislang 81 solcher Gedenksteine eingebracht
wurden. Nach Jürgen Stude haben sich mittlerweile im
Rhein-Neckar-Raum mit Ausnahme von Heidelberg und Reilingen alle
betroffenen Städte und Gemeinden
an diesem Projekt beteiligt. Damit demnächst auch die Leimener
Gedenksteine erschaffen werden können, bitten die
Träger des Mahnmal-Projekts um Spenden aus der
Bürgerschaft. Das Spendenkonto bei der Volksbank Wiesloch hat
die Nummer 200 417, die Bankleitzahl lautet 672 922 00,
Empfänger ist die „Evangelische Kirchengemeinde
Leimen“. Als Verwendungszweck sollte das Stichwort
„Mahnmal“ vermerkt werden. |