Zwei
RNZ-Artikel vom 26.März 2013
Der
Stein des Gedenkens kommt zum Rathaus
Mahnmal erinnert an die aus Leimen deportierten Juden –
Gemeinderat sprach sich für einen Standort der Würde
aus
Von
Thomas Frenzel
Leimen. Die zeitliche Nähe zur 80. Wiederkehr jenes Tages, an
dem sich die Reste der Weimarer Demokratie selbst abschafften und Adolf
Hitler zur millionenfachen Tod bringenden Diktatur
ermächtigten, war gewiss nicht zufällig
gewählt: In demonstrativer Einhelligkeit fasste der
Gemeinderat den Beschluss, dem Gedenken der ermordeten Juden Leimens
einen Platz von Würde zu schaffen. Das Mahnmal an die im Jahre
1940 zunächst ins südfranzösische Gurs und
dann nach Auschwitz deportierten Leimener Mitbürger, das von
Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht
konzipiert worden war, wird zunächst im Foyer des historischen
Rathauses aufgestellt. Seinen endgültigen Standort soll es
später im Bereich des sanierten Rathausplatzes finden.
Die drei jungen Frauen haben mit ihrem Projekt, mit dem sie das
Schicksal der nach Gurs Verschleppten aufarbeiteten, für die
Stadt Ehre eingelegt. Dies betonte nicht allein
Oberbürgermeister Wolfgang Ernst.
Der aus Ernsts Sicht am besten geeignete Standort für das
Mahnmal sei jener Platz, an dem bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts die
Leimener Synagoge gestanden habe – westlich des Gasthauses
„Krone“. Noch zu Kaiserzeiten, als die Zahl der
jüdischen Gläubigen auf eine Handvoll geschrumpft war
und die Gemeinde sich auflöste, sei das Gotteshaus aus
Kostengründen abgerissen worden. Da an dieser Stelle auf
absehbare Zeit umfangreiche Sanierungsarbeiten anstehen, empfehle sich
als Übergangsstandort das einsehbare Foyer des Rathauses: Als
Palais war das heutige Rathaus von dem Juden Aron Elias Seligmann
errichtet worden, in einer Blütezeit des Leimener Judentums,
dessen Gemeindeim19. Jahrhundert laut Ernst weit über 100
Gläubige gezählt hatte. Aufgestellt werden soll hier
der Gedenkstein am 9. November, dem Jahrestag des
nationalsozialistischen Pogroms, bei dem 1938 in Hitler-Deutschland die
Synagogen und jüdisches Eigentum brannten.
Der schon lange fertig gestellte Gedenkstein solle endlich einen
würdigen Platz finden, sagte Richard Bader (CDU), zumal er
ohne Schuldzuweisung gegen jegliche Art von Hass und Verblendung mahne.
Als „ausgesprochen richtig“ empfanden Gerhard
Scheurich (GALL) und Joachim Buchholz (Linke) die diskutierten
Standorte.
Dass – im offenbar nicht-öffentlichen Vorfeld
– auch andere Standorte in der Diskussion waren, offenbarte
Rudolf Woesch (FW): Auf einem Friedhof habe ein solches Mahnmal nichts
zu suchen, sagte er; das Mahnmal müsse zwingend unter den
Menschen sein. Dies unterstrich auch Wolfgang Krauth: Das Mahnmal sei
kein Grabstein, zwingend sei, das die Menschen darüber
stolperten, zumal bei einem Thema, das in Leimen nach wie vor als Tabu
begriffen werde.
Den Woesch-Hinweis, wonach ein öffentlicher Standort auf dem
freien Rathausplatz allerdings auch Vandalen einladen könnte,
griff auch Wolfgang Stern (CDU) auf: Sicherer als frei
zugänglich könnte ein endgültiger Standort
im gläsernen Foyer des künftigen
Verwaltungsgebäudes vis-à-vis des historischen
Rathauses sein.
Die Widerrede kam prompt. Bei allem nachdenkenswertem Pragmatismus, so
der OB in ungewohnter Emotionalität, dürfe vor diesen
immer wieder auftretenden „Schweinehunden“ nicht
kapituliert werden. Es gelte Kraft aufzubringen gegen die
„rechte braune Flut“ und im öffentlichen
Raum ein klares Signal zu setzen. Hier wollte noch nicht einmal der
leidenschaftliche OB-Kritiker Buchholz widersprechen, der es
für unsäglich erachtete, dass bei der
Zerstörung des gleich motivierten Mahnmals in
Nußloch von offizieller Seite ein brauner Hintergrund
umgehend ausgeschlossen worden war.
Erinnerung
an die Mayers und Bierigs
Drei Schülerinnen arbeiteten das Schicksal der Deportierten
auf und schufen ein doppeltes Mahnmal
Leimen. (fre) Gibt es einen deutscheren Namen als Mayer, dieser zum
Nachnamen gewordenen Berufsbezeichnung für einen in der
Milchwirtschaft beheimateten Bauern? Für Hugo Mayer und seine
Frau Karolina bot dieser Name keinen Schutz. Auch nicht für
die mit ihnen verwandte Karoline Bierig und deren Tochter Selma. Sie
alle, die in Leimen im heutigen Haus Rohrbacher Straße 12
lebten, wurden am 22. Oktober 1940 von zuhause abgeholt. Von den Nazis.
Und sie wurden auf den Befehl der herrschenden Hitler-Partei deportiert
in das südfranzösische Konzentrationslager Gurs, die
erste Station auf dem Weg in den Tod. Denn die Leimener Mayers und
Bierigs waren jüdischen Glaubens.
70 Jahre nach dieser Verschleppung haben drei Schülerinnen der
Geschwister- Scholl-Schule St. Ilgen dieses Schicksal aufgearbeitet:
Katharina Belman, Anastasia Gammersmajster und Sabina Kinderknecht.
Unter der Mitwirkung ihres Lehrers Martin Delfosse beteiligten sie sich
an einem Projekt der evangelischen Landeskirche: Zum Gedenken an die
Deportierten entstand in Neckarzimmern eine zentrale Stätte
des Mahnens und Erinnerns an alle Mitmenschen, die damals aus den 137
badischen Gemeinden in den Tod geschickt wurden. Ein wesentlicher
Bestandteil dieses Projekts war und ist es, dass eine Zweitversion des
Gedenksteins, wie er in Neckarzimmern aufgestellt wurde, in den
jeweiligen Kommunen aufgestellt wird – als Mahnung
für die Heutigen.
Katharina, Anastasia und Sabina entschieden sich für das
Symbol einer aus Sandstein gehauenen Kerze, deren Flamme für
die Hoffnung steht. Eine Hoffnung aufs Überleben, die von den
deportierten Mayers und Bierigs schier bis zuletzt gepflegt wurde. Und
sei es nur, dass sie selbst in einem ihrer letzten Briefe, den sie
ihren Lieben in Amerika zukommen ließen, keine
Hoffnungslosigkeit ausstrahlen wollten.
Zurück zum Gedenkstein. Seit etwa einem Jahr ist das
Parallelmal, das für eine Aufstellung am Ort der erfolgten
Deportation vorgesehen ist, fertiggestellt. Nach der
vorübergehenden Aufstellung im Rathausfoyer gilt es, den Stein
an einem wirklich öffentlichen Platz aufzustellen. Und
vielleicht hilft hierbei die Tatsache, dass Hugo Mayer einst der
Besitzer der Bergbrauerei Leimen war. Ihn selbst und seine Familie
konnte dies nicht retten.
RNZ-Kurzmeldung
vom 27.März 2013
Es gab eine Nein-Stimme
Leimen. (fre) Die Entscheidung, den Gedenkstein für die nach
Gurs deportierten Leimener Juden zunächst im Rathausfoyer und
später im Bereich des sanierten Rathausplatzes aufzustellen,
fiel doch nicht einstimmig (vgl. gestrige RNZ). Wie die Stadt gestern
informierte, hatte die FDP Stadträtin Ingrid Hörnberg
per Mail der Verwaltung mitgeteilt, dass ihre Nein-Stimme
übersehen wurde.
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