Bericht vom 26.Januar
2013
Der Opfer gedenken, wo die Täter begraben liegen?
Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die
Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Daher
wurde der 27. Januar nicht nur in Deutschland, sondern auch
international durch die Vereinten Nationen zum Tag des Gedenkens an die
Opfer des Nationalsozialismus ausgerufen.
In Leimen wurde letztes Jahr im Rahmen des ökumenischen
Jugendprojektes Mahnmal durch drei Schülerinnen der
Geschwister-Scholl-Schule St.Ilgen ein Gedenkstein zur Erinnerung an
die Juden, die am 22.Oktober 1940 aus Leimen deportiert und ermordet
wurden, fertig gestellt. Allein die Aufstellung des Gedenksteines steht
noch aus. Die Mitglieder des Mahnmal-Projektes haben im Einklang mit
den evangelischen und katholischen Kirchengemeinden als Aufstellungsort
den Leimener Rathausplatz vorgeschlagen und diesen Vorschlag mit
fünf überzeugenden Kriterien begründet.
Den diesjährigen Holocaust-Gedenktag möchte ich zum
Anlass
nehmen, um über einen anderen Aufstellungsort nachzudenken:
Könnte der Gedenkstein zur Erinnerung an die Juden, die am
22.Oktober 1940 aus Leimen deportiert und ermordet wurden, nicht auch
auf dem Leimener Friedhof aufgestellt werden?
Auf diese Frage möchte ich an dieser Stelle eine Antwort
geben,
indem ich die vier häufigsten genannten Argumente für
den
Friedhof als Standort für den Gedenkstein kritisch hinterfrage
und
abschließend ein Fazit ziehe.
- Der
Friedhof ist ein würdevoller Ort, der einen besonderen
respektvollen und pietätvollen Rahmen für die
Erinnerung an
das Leid der ermordeten Juden darstellt.
Dieses
Argument betont den gesellschaftlichen Aspekt der Tradition, dass man
Toten üblicherweise auf dem Friedhof gedenkt, sei es allein,
in
der Gemeinschaft oder zu Gedenktagen auch öffentlich im Rahmen
einer Gedenkveranstaltung.
Wer
den Friedhof besucht, geht in der bestimmten Absicht des Gedenkens auf
den Friedhof. Dabei sind die Menschen gewissermaßen
empfänglicher für ein allgemeines Gedenken an fremdes
Leid,
empfänglicher wie wenn man in der Stadtmitte mit ganz anderen
Gedanken und Zielen an einem Gedenkstein zufällig vorbeikommt.
So
ist wahrscheinlich die hinter diesem Argument stehende Logik zu
beschreiben.
Doch
wer diese Logik überzeugend findet, der verkennt
völlig den
Sinn und Zweck eines Mahnmals: Nicht wir besuchen das Mahnmal in der
passenden Stimmung, sondern das Mahnmal besucht uns in der unpassenden
Stimmung. Das Mahnmal stört uns in den alltäglichen
Lebensvollzügen und will uns inmitten des Lebens
wachrütteln
und uns etwas in Erinnerung rufen und uns ermahnen.
Man
mag dies für eine idealistische Einstellung halten und dem
Mahnmal
kaum eine solche „Wirkungsmacht“ zugestehen wollen,
aber
viel wichtiger als die tatsächliche Wirkung des Mahnmals auf
den
Einzelnen, die ohnehin unverfügbar ist und auch auf dem
Friedhof
nicht garantiert werden kann, ist die politische Aussage, die hinter
dem Aufstellungsort in der Stadtmitte steht: Ein mutiges, eindeutiges
Bekenntnis gegen Rassismus, Fremdenhass und Intoleranz. Wir stehen dazu
inmitten unseren alltäglichen Lebensvollzügen und
schieben
dieses Bekenntnis nicht weg auf den gesonderten Bereich des Friedhofs.
- Der
Friedhof ist ein geschützter Ort, der den Gedenkstein vor
verschiedenen Formen des respektlosen Umgangs schützt und mehr
Sicherheit vor möglichem Vandalismus bietet.
Dieses
Argument betont den praktischen Aspekt der Sicherheit mit dem Ziel,
dass das ehrende Gedenken nicht in den Schmutz gezogen wird.
Die
Sorge, dass der Gedenkstein in irgendeiner Weise durch Vandalismus
beschädigt werden könnte, ist zwar berechtigt. Erst
letztes
Jahr wurde der Gedenkstein in Nußloch durch solche Umtriebe
in
Mitleidenschaft gezogen. Ob der Friedhof im Vergleich zum Rathausplatz
mehr Sicherheit bietet, ist allerdings reine Spekulation. Wenn es
Zeitgenossen gibt, die das Mahnmal gezielt verunstalten wollen, dann
können sie dies an jedem Ort tun, auch auf dem Friedhof, wie
auch
jüngste Vorfälle in der Region belegen.
Viel
wichtiger als solche Spekulationen über den möglichst
sichersten Aufstellungsort für den Gedenkstein ist vielmehr
die
Frage, welches Signal wir setzen, wenn die Sorge um Vandalismus der
ausschlaggebende Grund für die Aufstellung des Gedenksteines
auf
dem Friedhof ist. Ich denke, weder gegenüber jugendlicher
Randale,
noch gegenüber rechtsradikalen Umtrieben ist ein
vorauseilender
Kniefall angebracht, im Gegenteil.
Es
ist die Freiheit, welcher die Juden zur Zeit des Nationalsozialismus
Stück für Stück beraubt wurden, mit dem
Ziel,
schließlich ihr Leben ganz zu vernichten. Es ist daher
angemessen
dieser zur Zeit des Nationalsozialismus geschundenen Freiheit einen
Gedenkstein entgegenzusetzen, dessen Aufstellungsort Ausdruck eines
selbstbewussten freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens ist. Das
vermeintlich sichere „Versteck“ des Friedhofes
erfüllt
dieses Kriterium wohl kaum, der Rathausplatz aber sehr wohl. Er
stünde als Aufstellungsort des Gedenksteins für ein
mutiges
und eindeutiges Bekenntnis gegen Unfreiheit und Unterdrückung.
Wir
stehen dazu inmitten unseren alltäglichen
Lebensvollzügen und
schieben dieses Bekenntnis nicht weg auf den gesonderten Bereich des
Friedhofs.
- Der
Friedhof ist ein ausgewiesener Ort des Gedenkens, auf dem bereits
andere Gedenksteine stehen, die an das durch die beiden Weltkriege
verursachte Leid von Menschen erinnern.
Dieses
Argument betont den zufälligen Aspekt der gewachsenen
Erinnerungskultur, der den Gedenkstein in Beziehung zu den anderen
Gedenksteinen setzt.
Auf
dem Leimener Friedhof steht vor der Kapelle seit 1975 der Gedenkstein
für die Opfer aus Deutsch-Stamore im rumänischen
Banat und
seit 1981 der Kunewälder-Gedenkstein, der an die gefallenen
Landsleute der Heimatgemeinde Kunewald im Sudetenland erinnert.
Den
Gedenkstein für die ermordeten Leimener Juden einfach dazu zu
stellen, scheint aus Gründen der
„Gleichbehandlung“
sinnvoll zu sein und „komplettiert“ das Gedenken an
menschliches Leid in Bezug auf die zwei Weltkriege.
Natürlich
ist menschliches Leid und das Gedenken daran unteilbar. Es kann keine
Abstufung in der „Wertigkeit“ des Gedenkens an
menschliches
Leid geben, insofern ist alles Gedenken gleichwertig und gleichwichtig.
Doch muss daraus folgen, dass alles Gedenken auch
„gleichbehandelt“ wird und am gleichen Ort
stattfinden muss?
Eine
Gedenktafel für die heimatvertriebenen Deutschen aus dem
Sudetenland, aus Schlesien, Pommern und Ungarn, die nach dem zweiten
Weltkrieg in Leimen eine zweite Heimat gefunden haben, ist seit 1999 in
der Höllengasse angebracht. Es hat sicherlich nachvollziehbare
und
berechtigte Gründe gegeben, warum diese Gedenktafel mitten in
der
Stadt und nicht auf dem Friedhof angebracht wurde. Aus der
„Gleichwertigkeit“ des Gedenkens folgt eben nicht
notwendigerweise die „Gleichbehandlung“ des
Gedenkens, kann
es auch gar nicht, denn menschliches Leid bleibt bei aller Gleichheit
immer ein unverwechselbares „individuelles“
Geschehen, und
zwar sowohl hinsichtlich dem einzelnen Menschen, wie auch hinsichtlich
der einzelnen Gruppe.
Die
„Gleichwertigkeit menschlichen Leids“ steht also
nicht im
Widerspruch zur „Einzigartigkeit menschlichen
Leids“,
aufgrund deren das Gedenken in je eigener Form und dem dazu passenden
speziellen Platz stattfinden kann. Die Gleichbehandlung des Gedenkens
an das Leid verschiedener Volksgruppen auf ein und demselben
Friedhofsplatz bringt aber letztlich die Gefahr mit sich, dass die
Einzigartigkeit des Holocaust nicht so deutlich zum Ausdruck kommt. Der
Rathausplatz stünde dagegen als Aufstellungsort des
Gedenksteins
für ein mutiges und eindeutiges Bekenntnis gegen die
Verharmlosung
und Leugnung des Holocaust.
- Der
Friedhof ist im Vergleich zu anderen Plätzen am Stadtrand die
bessere Alternative, da wegen der Stadtkernsanierung eine Aufstellung
des Gedenksteines in der Stadtmitte auf lange Sicht nicht
möglich
ist.
Dieses
Argument betont den zeitlichen Aspekt der Stadtkernsanierung, der als
äußerer Sachzwang die Aufstellung des Gedenksteines
auf dem
Friedhof als Zwischenlösung favorisiert.
Dagegen
ist festzuhalten: Die anstehende Stadtkernsanierung und damit auch die
Umgestaltung des Rathausplatzes mag ja in der Tat die Aufstellung des
Gedenksteines „verkomplizieren“ und vielleicht auch
„verzögern“, aber ein Hinderungsgrund
für die
Steinaufstellung ist die Stadtkernsanierung letztlich nicht, im
Gegenteil, mit etwas gutem Willen von allen Beteiligten lässt
sich
die Steinaufstellung in die Planungen der Umgestaltung des
Rathausplatzes von vorneherein mitintegrieren. Vorausgesetzt
natürlich der gute Wille dazu besteht und man möchte
den
Gedenkstein auf dem Rathausplatz aufstellen. Wird man das alte
Sprichwort „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“
beherzigen,
dann wird man bestimmt Lösungen finden, die Steinaufstellung
auf
dem Rathausplatz zu ermöglichen, und sei es durch
Zwischenlösungen auf dem Rathausplatz selbst.
Ist
der Wille da, dann wird der Weg derjenige sein, dass man miteinander
das Gespräch aufnimmt. Dabei müssen mit
größtmöglicher Transparenz bereits
getroffene und
anvisierte Entscheidungen, bestehende Planungen und
Zeitabläufe,
sowie noch unfertige Entwürfe oder Ideen offen gelegt werden,
um
die bestmögliche Variante einer Steinaufstellung auf dem
Rathausplatz herausfinden zu können. Eine
Zwischenlösung auf
dem Rathausplatz selbst ist hierbei einer Zwischenlösung auf
dem
Friedhof vorzuziehen. Denn Zwischenlösungen haben den Drang
der
Verstetigung in sich. Oder anders ausgedrückt: Steht der
Gedenkstein erst einmal auf dem Friedhof, dann wird er mit ziemlicher
Sicherheit nicht mehr den weiten Weg auf den Rathausplatz finden.
Es
lohnt sich, einmal darüber nachzudenken, welchen Stellenwert
der
Gedenkstein an die ermordeten Leimener Juden in der politischen
Gemeinde Leimens einnehmen soll: Ist die Steinaufstellung lediglich ein
störender Faktor in der Stadtkernsanierung und man muss jetzt
irgendwo eine Lücke dafür finden? Oder ist die
Steinaufstellung eine von einer großen Mehrheit der
politischen
Entscheidungsträger begrüßte
Möglichkeit, endlich
einem solchen Gedenken Raum geben zu können? Im zweiten Falle
würde die Steinaufstellung als zentrale, inspirierende Chance
für die Stadtkernsanierung angesehen werden können.
Der
Gedenkstein wäre nicht mehr ein störender Faktor,
sondern
sogar Ausgangs- und Zielpunkt für eine neue Gestaltung des
Rathausplatzes und damit ein mutiges und eindeutiges Bekenntnis gegen
das Vergessen.
Zusammenfassend
lässt sich also festhalten, dass die vier Argumente, welche
den
Friedhof als Aufstellungsort für das Mahnmal empfehlen, nur
vordergründig plausibel sind, dass sie aber einer kritischen
Überprüfung nicht standhalten. Außerdem
lassen alle
vier Argumente einen Gesichtspunkt völlig
unberücksichtigt,
den anzusprechen in Leimen wahrscheinlich einem Tabubruch gleichkommt:
Die Deportation der Leimener Juden im Oktober 1940 lief ja nicht so ab,
dass eine anonyme lange Hand von der damaligen Gauleitung in Karlsruhe
sich bis nach Leimen ausgestreckt hätte und die Familie Mayer
und
Bierig aus dem Haus geholt hat und verschleppt hat. Nein, es waren doch
wohl Leimener Bürger, genauer gesagt Leimener Nazis, welche
vor
Ort in Leimen die Deportation in die Tat umgesetzt haben. Wir
müssen annehmen, dass diese Täter auf dem Leimener
Friedhof
begraben liegen. Daraus ergibt sich folgende Konsequenz,
worüber
man sich klar sein muss, wenn man den Friedhof als Aufstellungsort
für den Gedenkstein auswählt. Man
würde der Opfer an
der gleichen Stelle gedenken, wo die Täter von damals begraben
liegen!
Der Opfer gedenken, wo die Täter begraben liegen, dies
könnte, wenn überhaupt doch nur in Frage kommen, wenn
die
Ortsgeschichte Leimens von 1933 bis 1945 und damit auch die
Umstände des Deportationsvorganges in Leimen von
unabhängiger
Seite wissenschaftlich untersucht und die Ergebnisse der
Öffentlichkeit bekannt gemacht worden sind. Doch von einer
solchen
Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Leimener Ortsgeschichte ist
man in Leimen weit entfernt. Wahrscheinlich ist aber genau dies der
Grund dafür, warum der Friedhof als Aufstellungsort genannt
wird.
Dort ist der Gedenkstein nicht im dauerhaften, direkten Blickfeld der
Öffentlichkeit, er steht abseits und fordert uns nicht
täglich heraus, und deswegen ist der Friedhof als
Aufstellungsort
so angenehm. Man darf gespannt darauf sein, ob die politischen
Entscheidungsträger in Leimen dieser Versuchung widerstehen
können und stattdessen den Rathausplatz als Standort des
Gedenksteines auswählen.
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